Wenn ich einen KOPF modelliere, möchte ich dem Menschen vor mir unbedingt gerecht werden. Dafür ist Zurückhaltung angesagt. Nicht ich bin wichtig und genial, nein – es ist der Mensch vor mir, der Aufmerksamkeit verdient.
Und doch gibt es unendlich viel über diese alte und faszinierend komplexe Kunst zu sagen. So war Tizian ein Schlüsselerlebnis für mich. Ende der 80er Jahre besuchten Eva, heute meine Frau, eine venezianische Freundin und ich eine umfassende Tizian-Ausstellung im Palazzo Ducale. Wir waren begeistert von der Lebendigkeit seiner Portraits. Besonders irritierte mich sein junger Engländer aus dem Palazzo Pitti. Ich fühlte mich heraus-gefordert, fast provoziert: So frech verbindet sich die Souveränität des Dargestellten mit der Souveränität der Darstellung. Ich fand das so unverschämt. Das durfte ich mir nicht bieten lassen. Ich beschloss, zu bleiben, bis ich Tizians Rätsel entschlüsselt hätte. Stundenlang sprang ich zwischen den Bildern hin und her und verglich die Portraits. „Wie macht der das nur?“ Bis ich verstand, wie kalkuliert und konsequent Tizian bei den Gesichtern Hinwendung mit Wahrnehmung verbindet.
„Hab Dich!“
Ich hatte ein exquisites, subversives Kompositionsverfahren entdeckt, ein unumstößliches und unbekanntes Qualitäts-merkmal wieder zugänglich gemacht. Nun setzte ich meine Suche fort. Bei Giorgione, Tizians Lehrer, findet sich diese Technik schon angelegt, aber noch nicht voll entfaltet. Bei Tintoretto, Tizians späterem Konkurrenten, finden wir sie schon nicht mehr. Später zeichnete ich sehr viel nach Michelangelo. Da sah ich dieses Verfahren nicht nur übertragen auf den ganzen Körper sondern auch räumlich wirksam. Houdon, Carpeaux, Bernini, die besten realistischen Portrait-bildhauer, bauten darauf auf, auch wenn die Finesse Tizians fast nie erreicht wurde. Eine Vielzahl herausragender Maler und Bildhauer hatten dieses Wissen nicht oder nutzten es nicht. Ein Tilmann Riemenschneider findet seine Tiefe und zarte Nuancen auch anders.
Besonders faszinieren mich zwei Künstler, die großartiger und gegensätzlicher nicht sein könnten. Hans Holbein der Jüngere ist unerreicht darin, seine Mittel zu äußerster Präzision zu reduzieren und damit eine unfassbare Intensität zu erzeugen, und Rembrandt überwältigt mit seiner intuitiven Technik und einem überbordenden Ideenreichtum auf der Suche nach dem einfachen Menschsein. Ist Holbein noch nachvollziehbar, sind bei Rembrandt Dinge zu lernen, die weit jenseits von Finesse und Technik liegen.